Nur nicht so bescheiden
Kathrin Löffler, Tagblatt
Sven und Michael Kanz machen Menschen glücklich, die viel Geld und ein Faible für viele Pferdestärken haben. Die Brüder handeln mit Luxussportwagen. Dabei fordern sie ihren Kunden einiges ab. Denn die müssen mitunter lange Reisen auf sich nehmen – in eine Gegend, die für alles andere als für Luxus populär ist: mitten auf die Schwäbische Alb. Die stadtvillenteuren Sportwagen sind es nicht, die den Kunden der Gebrüder Kanz den Atem rauben. Die meisten marschieren erst einmal stracks daran vorbei, stellen sich ans Fenster und bestaunen die vollständige Abwesenheit von Shoppingmeilen, Nachtclubs und kalifornisch-koreanischen-Fusionkitchen-Restaurants. „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, seufzen sie, sobald sie hinaus in die Einöde blicken. Dann drehen sie sich wieder um, kaufen einen Bugatti für vier Millionen Euro und fliegen zurück nach Berlin, München oder Tel Aviv. Sven und Michael Kanz verkaufen das Teuerste und Schnellste, was es auf vier Rädern zu haben gibt. Unter dem Kuppeldach ihres Showrooms in Melchingen stehen Porsches, Aston Martins, Lamborghinis. Felgen spiegeln sich im Boden, die Halle hat die Aura einer Andachtskapelle. Zu den Pilgern gehören den Brüdern zufolge Unternehmer aus dem Umland, Mitglieder der Münchner Schickeria, Neffen ehemaliger Ministerpräsidenten, Chefärzte, sehr viele Immobilienmakler. Und Prominente. Deutsch-Rapper, Bundesliga-Sternchen, Reality-TV-Darsteller, diese Kategorie. Aber auch solche jener Kategorie, der auf dem Walk of Fame in Hollywood ein Stern gewidmet ist. Ihre Namen dürfen hier nicht stehen. „Wir mussten Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben“, sagt Michael Kanz. Teils fliegen die Kunden per Helikopter ein. Auf der Wiese vor ihrem Autohaus haben die Kanzens einen Landeplatz angelegt. Direkt am Ortsrand eines 900-Einwohner-Fleckens auf der Schwäbischen Alb. Ansonsten gibt es hier ein Dorfmuseum, eine Sparkassen-Filiale, einige Tempo-30-Zonen, Haxen im Angebot beim örtlichen Metzger und das Klischee vom erzsparsamen Schwaben, das in jeder Ackerfurche tief verwurzelt zu sein scheint. Bezahlen, reinsitzen, wegfahren – das läuft nicht bei den Melchinger Autohändlern Kanz. Wer hier einen Schlitten kauft, bekommt zur Abholung ein Lichtspektakel in der eigens errichteten Showröhre. Die Karriere von Sven, 40, und Michael, 36, begann mit wenig Flitter. Mehr als zehn Jahre ist das her. Zweimal in der Woche standen der gelernte Heizungsbauer und der Kfz-Mechaniker damals an der nächsten Tankstelle. Pünktlich morgens um 6 Uhr, immer dann, wenn die neue „Sperrmüll“-Ausgabe im Zeitschriftenregal lag. Mit dem Anzeigenblatt setzten sie sich an Mutters Küchentisch in Ringingen und kreuzten Annoncen für Autos an. Meistens waren es VW Golfs für 100 oder 200 Euro. Die kauften sie und suchten neue Besitzer dafür. Irgendwann wurde aus den Golfs mal ein Audi, ein Mercedes, der erste Porsche. Und irgendwann war ein ehemaliger Programmchef eines Privatsenders unter ihren Kunden. Sein McLaren wartete in der Garage von Mutter Kanz. Der Mann konnte es nicht fassen. Ob die Brüder mal ein Demo-Video von sich schicken wollten? Sie wollten. Inzwischen sind Sven und Michael mit ihrem Protzschlittenhandel in der Provinz selbst Fernsehbekanntheiten. RTL2, ntv und n24 machten sie zu Hauptfiguren mehrteiliger Doku-Formate. Die Filme zeigen die beiden, wie sie im Porsche durch Tunnels preschen oder mal eben nach Österreich fahren, um ein neues Exemplar zu sichten. Auch der Südwestrundfunk war schon zum Drehen da. Mit dem neuen Publikum kamen neue Bezugsquellen. „Seit wir in der ‚Landesschau‘ waren, melden sich auch Hausfrauen, die noch ein Schätzchen von ihrem verstorbenen Mann in der Garage stehen haben“, sagt Michael Kanz. Nach wie vor erwerben die Brüder ihre Nobelkarossen gebraucht. Allerdings drängte ihre Mutter zu etwas repräsentativeren Ausstellungsräumen. 2012 folgte der Neubau in Melchingen. Seit knapp zwei Jahren steht noch ein Ufo nebendran. 30 Meter lang, außen weiß, innen roter Teppich. Sein einziger Zweck ist, Autos hineinzustellen, damit deren neue Eigentümer sich ans Steuer setzen und hinausfahren können. Dabei flimmern die Wände im Inneren des Ufos in 260 verschiedenen Farbspielen und Bildschirme zeigen Impressionen der Fuhrparks, die die Kunden bereits besitzen. „Damit sie ein Erlebnis bei der Abholung haben“, sagt Michael Kanz so, als würde er Leberkäswecken verkaufen. Manchen Kunden scheint eine Anreise auf die Alb beschwerlich. Deshalb fliegen sie per Helikopter ein. Aber die Brüder verkaufen das Gegenteil von puritanisch. Einem Zeitgeist zum Trotz, der automobile Fortbewegung auf ihre Umweltverträglichkeit reduziert, bieten sie Puzzleteile zur pompösen Selbstinszenierung. „Stellen Sie sich vor, ein Promi würde bei einer Premiere im Golf vorfahren. Die Medien würden ihn zerreißen“, glaubt Michael. Sein Firmenwagen ist ein Hybridauto. Seine Kunden gehören nicht zu jenen, die ein Kraftfahrzeug als ökologisch zu justierenden Gebrauchsgegenstand betrachten. Kanz: „Das Thema E-Mobilität spüren wir nicht. Die Leute wollen immer noch Sound und Zwölfzylinder.“ Und diese Leute sind pflegeintensiv. Manche von ihnen kündigen sich nachts zum Auto-Shopping an. Manche quartieren sich kurzfristig bei den Brüdern ein. Von den Popstars unter ihnen müssen sie gelegentlich Konzerte besuchen, sagt Michael. Das bringt Absatz. Er selbst trägt Bart, eine kühne Gelfrisur und Lackschuhe zum Interviewtermin, sein Bruder Sven Anzug, weißes Boss-Shirt, weiße Sneakers. Beide sehen aus, als könnten sie ihre eigenen Kunden sein. Zu ihrer Klientel pflegen sie ein zwitterhaftes Verhältnis. „Wer sich einen Audi R6 mit 500 PS kauft, ist schon verrückt. Die Leute sind nicht normal“, sagt Michael. Deren Schwäche teilt er wohl. Die Brüder besitzen selbst jeweils mehrere Luxuskarossen. Sven Kanz begründet das so: „Das Gefühl, einen Bugatti zu fahren, kann man mit Worten nicht beschreiben. Das ist Wahnsinn, was Menschen erschaffen können.“ Mehrere hundert Autos verlassen nach Angaben der Brüder pro Jahr ihr Melchinger Autohaus. Melchinger Einwohner waren bisher nicht unter den Käufern der PS-Monster. Das Gewerbe in der Jetset-Blase und sein Setting auf der Schwäbischen Alb gehen dennoch zusammen. „Wir sind auf dem Boden geblieben“, sagt Michael Kanz. Wenn Kunden ihm einen 250 000 Euro-Maybach für den Sprössling abkaufen, der noch keine 18 Jahre zählt, findet er das verwunderlich. Eine Zweitkarriere, die die TV-Präsenz als Luxusautohändler verheißt, braucht er nicht: Die Kanzens hätten bereits auf Mallorca als Sänger auftreten oder vor Fernsehkameras ihren Alltag mit Familien tauschen können, die bei der Tafel statt im Luxusautohandel einkaufen. Sie lehnten ab. Ihren Firmensitz in eine große Stadt verlagern, näher an einen geballt versammelten exklusiven Kundenpool? Wollen sie nicht. Damit entfiele auch ein wesentliches Ritual ihrer Unternehmenspraxis: Zum Mittagessen fahren die Brüder laut Michael noch regelmäßig nach Ringingen – „zur Mama“. Dorthin, wo die Welt noch in Ordnung ist.